Wissenschaft persönlich: Prof. Dr.- Ing. Johanna Myrzik

Frau steht vor Messgeräten
Prof. Dr.-Ing. Johanna Myrzik ist Universitätsprofessorin am Lehrstuhl für Automatisierungstechnik in der Energieversorgung und Leiterin des Instituts für Automatisierungstechnik an der Universität Bremen im Fachbereich 1 Physik/Elektrotechnik. Außerdem ist sie Sprecherin für das Bremer Forschungszentrum für Energiesysteme (BEST).

© WFB/Jonas Ginter

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im Juli stand uns Prof. Dr.-Ing. Johanna Myrzik, Leiterin des Institut für Automatisierungstechnik an der Universität Bremen, Rede und Antwort. Dort erforscht und entwickelt sie eine nachhaltige, effiziente, wirtschaftliche und resiliente (elektrische) Energieversorgungsversorgung der Zukunft basierend auf 100% erneuerbaren Energiequellen. Was sie zu ihrem Beruf geführt hat, welche ihre kleinen Glücksmomente im Arbeitsalltag sind und mit welcher Tierwelt sie die Bremer Wissenschaftsszene vergleichen würde, erzählt uns Prof. Dr.-Ing. Johanna Myrzik in diesem Interview:

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin geworden wären?

Mir war schon sehr früh klar, dass ich eine Forscherin werden möchte und spätestens seit dem KKW Unfall in Tschernobyl war auch klar, dass es was auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energiequellen sein muss.

  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?

Da gibt es sehr viele kleine Glücksmomente: In inspirierenden Diskussionen mit Kolleg:innen, in denen tolle Ideen entstehen, wenn man sich in der interdisziplinären Forschung versteht und gemeinsam vorankommt, wenn ich mit meiner Begeisterung für die Energiewende auch die Studierenden begeistere, wenn meine Doktorant:innen mit sehr guten Arbeiten abschließen… und viele Momente mehr.

  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besucher:innen erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?

Das elektrische Versorgungssystem als Wurfbude: Kleine mit Lampenlicht versorgte Solarzellen, kleine mit Ventilatoren versorgte Windräder speisen Strom in ein kleines Netz ein, es gibt kleine Batteriespeicher und Brennstoffzellen, Lampen als Verbraucher, vielleicht auch noch einen Strommast. Alle Erzeuger, Speicher und der Mast sind mit Schaltern (z.B. Lichtschaltern) ausgestattet. Kleine Regler und ein Rechner mit Regel- und Optimierungsalgorithmen sorgen für die Systemsicherheit des Systems. Die Besucher:innen müssen mit ca. 5 Bällen die Schalter treffen und ausschalten. Natürlich fallen nicht gleich die Verbraucher aus, wenn Solar- und Windenergie getroffen werden. Dafür sorgen ja die intelligenten Regel- und Optimierungsverfahren. Vielleicht bei 4 getroffenen Schaltern wird die Hälfte der Lampen ausgeschaltet sein, bei 5 getroffenen Schaltern haben wir dann einen Blackout. Bei jedem getroffenen Schalter wird erklärt, was und warum etwas im Netz passiert. Als Hauptgewinn, alle 5 Schalter getroffen, gibt es dann eine Campinglampe mit Kurbel zum Licht machen.

  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?

Mein Team forscht an der Realisierbarkeit von nachhaltigen und effizienten Energiesystemen, einem sehr wichtigen Baustein, dem Klimawandel entgegen zu wirken. Bei unseren Arbeiten versuchen wir auch, die gesellschaftlichen Belange im Auge zu haben und zu berücksichtigen.

  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Arbeit von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?

Die Welt retten zu wollen, wäre ziemlich anmaßend! Aber jedes noch so kleine Forschungsergebnis trägt zum Ganzen bei! Und Fortschritt ist, wenn diese Forschungsergebnisse durch die Wirtschaft/Industrie umgesetzt werden.

  • Verraten Sie uns Ihr liebstes Arbeitsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?

Es ist immer noch der Rechner und die Simulation komplexer Energieversorgungsstrukturen mit Hilfe von modernen Optimierungs- und Regelungsmethoden. Aber wir bauen gerade ein neues Smart Grid Lab auf. Denn letztendlich brauche ich Technik zum Anfassen und muss sehen, dass sich die theoretisch entwickelten Regler und Verfahren auch in Hardware umsetzen lassen und ihre erste Verifikation in einem Hardware in the Loop Test bestehen.

  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremen? Und woher kamen Sie?

Nach meiner Promotion in Kassel habe ich 9 Jahre in Eindhoven in den Niederlanden gelebt und an der dortigen TU erst als Postdoc und zum Schluss als Associate Professor gearbeitet. Danach habe ich bis 2018 eine W2 Professur für Energieeffizienz an der TU Dortmund innegehabt. Die W3-Professur in Bremen gibt mir die Möglichkeit, meine Forschung mehr auf die Themengebiete der elektrischen Energieversorgung und der zukünftigen Netze auszurichten. Außerdem ist Bremen die definitiv schönere Stadt und wesentlich entschleunigter als das Ruhrgebiet.

  • Was schätzen Sie am Land Bremen als Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?

Ich schätze sehr die kurzen Wege in die Senatorische Behörde und Wirtschaft, wie auch die Einstellung der Universität zu Nachhaltigkeit und Klimawandel, weil das meine Arbeit beflügelt. Und ich sehe eine große Bereitschaft in den Fachbereichen, über die eigenen Grenzen hinweg interdisziplinär zu arbeiten. Nur mit einer solchen Einstellung können wir die komplexen Problemstellungen der heutigen Zeit gemeinsam lösen.

  • Fehlt Ihnen etwas?

Zeit, um mich stärker vernetzen zu können und die schöpferische Ruhe für neue Visionen.

  • Die Wege in Bremen und Bremerhaven sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?

Im Innenstadtbereich mit Fahrrad und Straßenbahn. In den Stadtrandgebieten auch mit dem Auto.

  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?

Die Bremer Wissenschaftsszene ist so vielseitig wie die Tierwelt der Serengeti und lässt sich nicht auf ein einziges Tier reduzieren: die Serengeti als riesige Savanne steht für die wissenschaftliche Freiheit, die Mannigfaltigkeit von großen und kleinen Tieren steht für die vielen kleinen und großen Forschungsgebiete, dabei gibt es bedrohte Tierbestände und solche, die wieder erstarken, es gibt fressen und gefressen werden, aber es gibt auch viele Vorteile beim Ausnutzen von Synergien zwischen den verschiedenen Disziplinen, wie es uns z.B. die in Symbiose lebenden Gnus und Zebras vorleben und alle Tiere leben im und mit dem steten Wandel der Jahreszeiten, zwischen Dürre und Regenzeit.

  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen/beruflichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?

Die Wechsel meiner Forschungsorte von der TU Eindhoven zur TU Dortmund und dann zur Universität Bremen. Jede Universität ist anders organisiert, das politische und wirtschaftliche (industrielle) Umfeld muss neu entdeckt werden, das Aufbauen der Netzwerke vor Ort etc. Und nicht zu vergessen das private Umfeld. Das alles kostet Energie und es dauert ca. 5 Jahre, bis der neue Laden läuft.

  • Welche stehen Ihnen noch bevor?

Ich bin die Sprecherin des Lenkungskreises des in 2022 gegründeten „Bremer Forschungszentrum für Energiesysteme“ (BEST). Wir haben uns u.a. zum Ziel gesetzt, ein national und international sichtbarer Forschungsverbund zu werden mit dem Motto „Energie für Wirtschaft und Gesellschaft“ und wollen damit einen wesentlichen Beitrag zum Forschungs-und Transferschwerpunkt Energiewissenschaften des Landes Bremen leisten. Auch wenn die Wege in Bremen kurz sind, ist dies eine ziemlich große Herausforderung.

  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?

Auf meine innere Intuition/Stimme zu hören und meinen Visionen zu folgen.

  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?

So ein echtes tiefes berufliches Scheitern habe ich glücklicherweise noch nicht erlebt. Aber kleinere und dann heißt es: aufstehen, Krönchen richten und weiter gehen.

  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?

Mit Singen, Barockmusik hören und mit dem Fahrrad durchs Blockland fahren.

  • Die nächsten Nachwuchswissenschaftler:innen ziehen nach Bremerhaven. Was würden Sie ihnen raten, wo man wohnen und abends weggehen soll?

Naja, das ist ja doch sehr individuell besonders beim Wohnen: Ob man es mehr urban oder ländlich will. Zum Ausgehen bevorzuge ich alles zwischen Hastedt und Marktplatz. Aber die Neustadt ist diesbezüglich auch sehr interessant.

  • Mit wem würden Sie diese Wissenschaftler:innen hier in Bremen oder Bremerhaven bekannt machen wollen?

Mit den großen und kleinen Entscheider- und Partner:innen aus Politik und Wirtschaft.

  • Wenn Sie einen Tag lang Ihr Leben mit einer Bremer oder Bremerhavener Persönlichkeit tauschen könnten, wessen Leben würden Sie wählen?

Oh je, sie ist keine Bremerin und lebt nicht mehr, wird aber in Bremen sehr geschätzt und Roselius hat ihr (weltweit als erste Frau) ein eigenes Museum gewidmet: Paula Becker Modersohn. Gerne möchte ich mal durch ihre Augen die Welt sehen und einen Tag lang ihre künstlerische Schöpfungskraft ausüben dürfen.

Geburtsjahr

1966

Fachbereich / Forschungsfeld

Fachbereich 1 Physik/Elektrotechnik, Institut für Automatisierungstechnik

Aktuelle Position/ Funktion

Professur für Automatisierungstechnik, Sprecherin des Bremer Forschungszentrum für Energiesysteme (BEST)

Aktuelles Forschungsprojekt

Forschen und Entwickeln für eine nachhaltige, effiziente, wirtschaftliche und resiliente (elektrische) Energieversorgungsversorgung der Zukunft basierend auf 100% erneuerbarer Energiequellen

Familienstand

in Partnerschaft lebend

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