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Wissenschaft persönlich: Christian Eigenbrod

Ein Mann steht an einer Säule angelehnt in einem Labor
Christian Eigenbrod arbeitet am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen als wissenschaftlich-technische Leitung im Bereich der Verbrennungsforschung.

© WFB/Ginter

Bremens Wissenschaft ist exzellent! Und daran haben natürlich die vielen schlauen Köpfe, die sich in den Laboren und den Hörsälen tummeln, erheblichen Anteil. Wer steckt hinter dem Erfolg der Bremer Wissenschaft? In unserer Porträt-Reihe Wissenschaft persönlich stellen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen regelmäßig unseren Fragen und verraten, was sie an ihrer Arbeit lieben und warum der Standort Bremen für sie genau der richtige ist.

Im August 2020 stand uns Christian Eigenbrod Rede und Antwort. Als wissenschaftlich-technische Leitung am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen widmet er sich der Verbrennungsforschung und damit auch der Feuersicherheit in der astronautischen Raumfahrt. Er gehört zu den Mitarbeiter*innen, die schon vor dem Bau des Fallturms mit an Bord waren – laut Uni Bremen ist der Fallturm Bremen seit nunmehr 30 Jahren die weltweite Instanz in der Mikrogravitationsforschung und setzt bezüglich der Experimentqualität und -dauer den internationalen Maßstab.

Warum die Schwerelosigkeit das liebste Arbeitswerkzeug von Christian Eigenbrod ist, aus welchen Gründen sein Weg ihn doch nicht in die Autoindustrie und nach Süddeutschland, sondern in die Weltraumforschung und in den Norden geführt hat, und weshalb er die Wissenschaftsszene in Bremen mit einem Bienenvolk vergleicht, erfahrt ihr im Interview!

  • Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftler/in geworden wären?
    Entwicklungs-Ingenieur im Automobil-Rennsport.
  • Wann finden Sie Ihren Job klasse? Welche Momente sorgen für Begeisterung?
    Wenn ein Experiment funktioniert. Wenn es also einerseits Forschungshypothesen bestätigt und wenn es andererseits viele bisher unbeantwortete neue Fragen aufwirft.
  • Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf dem Freimarkt einen Stand und müssten nun den Besucherinnen und Besuchern erklären, an was Sie gerade arbeiten – wie sähe Ihr Stand aus?
    Es würde an allen Ecken brennen, krachen, Funken sprühen, Rauch entwickeln und nach Kerosin duften. Vermutlich wäre der Stand aber wegen unüberbrückbarer Sicherheitsbedenken geschlossen.
  • Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Ihre Arbeit und worin besteht der Nutzen?
    Wenn es um grundlegende Fragen zur Verbrennung oder Selbstzündung z.B. von Tropfen und Sprays geht, dann geht es immer darum, zu verstehen, wie Schadstoffe, z.B. Stickoxide entstehen und welche Strategien man ableiten kann, um ihre Bildung zu unterdrücken. So konnten wir bereits vor mehr als zehn Jahren zeigen, wie man Diesel-Sprays vorverdampfen und mit Luft vormischen kann, um kalt genug zu verbrennen, dass Stickoxide gar nicht erst nennenswert entstehen können. Die Industrie hat sich aus unseren Projekten wieder zurückgezogen, da ihnen der Weg bis zur technischen Umsetzung zu lang und zu riskant erschien.
    Wenn es um die Verbrennung von Kunststoffen in der Schwerelosigkeit geht, dann wollen wir verstehen, wie sich Brände z.B. in einem bewohnten Raumfahrzeug entwickeln können, was man zur Vermeidung tun kann und wie man Brände unter den besonderen Bedingungen der Schwerelosigkeit am besten bekämpfen kann.
  • Wann sprechen Sie bei Ihrer Forschung von Fortschritt? Oder anders gefragt: Womit retten Sie die Welt?
    Wenn wir wirklich neue Erkenntnisse gewinnen, wenn wir Zusammenhänge finden, die bisher so nicht bekannt waren, dann sehen wir das als Fortschritt an. Für uns Forscher gehört die Umsetzung dieser Erkenntnisse in Methoden, Maschinen oder Anlagen, die zur Verbesserung unserer Umwelt beitragen, nicht zur Aufgabe. Dennoch bilden technische Unzulänglichkeiten ganz oft den ersten Antrieb die Dinge in ihrer Tiefe verstehen zu wollen.
  • Verraten sie uns Ihr liebstes Forschungsinstrument oder Ihre wichtigste Forschungsmethode?
    Forschung unter Weltraumbedingungen ist keine Disziplin für sich, sondern ein Werkzeug, eine Methode, die hilft, Zusammenhänge zu entschleiern und Möglichkeiten für bessere technische Prozesse auf der Erde liefert. Wen wundert es also, dass die Schwerelosigkeit, sei es am Fallturm, auf Höhenforschungsraketen oder im Weltraum mein liebstes Werkzeug ist? Dass nach wie vor wenige das große Potenzial dieser Forschungsmethode erkennen und nutzen, ist einerseits sehr schade, stellt andererseits aber ein schönes Alleinstellungsmerkmal unserer Forschung dar. Einen Fallturm im eigenen Haus stehen zu haben, ist eine Gelegenheit, die man gar nicht genug nutzen kann.
  • Wann und warum führte Sie Ihr Weg nach Bremen? Und woher kamen Sie?
    Ich bin gebürtiger Düsseldorfer und habe in Essen Energie- und Verfahrenstechnik studiert. Dies übrigens zu einer Zeit, in der der "Atomstaat Deutschland" als die Antwort auf alle Energieprobleme gelehrt wurde. Ich war schon damals davon überzeugt, dass das ein sehr "schmales Brett" ist. Selbst wer glauben mochte, dass Sicherheit und Endlagerung lösbare Probleme seien, konnte mir nicht erklären, woher die Rohstoffe für die kommenden Generationen von Kraftwerken kommen sollten. Dafür werden jede Menge seltener Legierungselemente benötigt, die nach ihrer Verwendung z.B. in Brütern nicht recycelbar sind. Mein Interesse galt viel mehr der effizienten und schadstoffarmen Verbrennung. Als Ingenieur lag mir das konkrete Feuer näher, als die abstrakte Physik der Kernenergie. Da ich dem Rallyesport schon vor und während meines Studiums aktiv verbunden war, schien mir fraglos klar, dass mich mein Weg in die Autoindustrie und nach Süddeutschland führen würde. Um motorische Verbrennung drehte sich auch die Diplomarbeit. Sollte dieser Einstieg nicht gelingen, wollte ich auf gar keinen Fall an eine Universität. Na ja, mein damaliger Betreuer erzählte mir von einem Fallturm, den es in Bremen für Schwerelosigkeitsforschung gebe. Das klang spannend und das wollte ich mir genauer ansehen und habe mich beworben. Beim Vorstellungsgespräch mit dem ZARM-Gründer Hans Rath und dem damaligen Fallturm-Projektleiter Hansjörg Dittus stellte sich heraus, dass es einen Fallturm erst geben soll. Die Anträge waren gerade erst gestellt worden. Ich sollte helfen, ihn zu bauen. Promovieren durfte ich zunächst nicht – klar, einen Fallturm und ein neues Institut baut man nicht nebenher auf. Das überzeugte mich davon, dennoch an einer Universität engagiert zu werden. Und schon war ich in Norddeutschland, nix war mehr mit Motoren und Turbinen (zunächst, das änderte sich nach Inbetriebnahme des Fallturms) und heute macht mir die Weitergabe des seither erworbenen Wissens an die nachfolgenden Studierenden-Generationen große Freude.
  • Was schätzen Sie am Wissenschaftsstandort? Was hält Sie hier?
    Der Stadtstaat Bremen bietet ein herausragendes Potenzial für Wissenschaft. Die Wege sind kurz, man weiß, wer woran arbeitet, Synergien bieten sich überall an und die Verbindung zur Bremischen Politik und Industrie sind naheliegend eng. Das sind ganz besondere und besonders gute Voraussetzungen für Effizienz. Sicher spielt auch eine Rolle, dass man in einem Stadtstaat nicht eine Uni unter vielen ist, auch wenn die Anzahl der Hochschulen im Land im Laufe der Jahre zugenommen hat. Zur Frage, ob es zu viele sind, habe ich für mich keine eindeutige Antwort.
  • Fehlt Ihnen etwas?
    Die damalige Entscheidung der Universität und des Landes Bremen für ein Institut für Mikrogravitationsforschung erstaunt mich heute viel mehr als damals. So etwas gab es schließlich nirgends auf der Welt und die Raumfahrt-Community fand die Idee, Schwerelosigkeitsexperimente auf der Erde durchzuführen, zunächst absurd. "Bodenturnen" nannte man es damals abschätzig. Der Mut, den auch die Bremer Raumfahrtindustrie für die Unterstützung des Projektes aufbrachte, wurde fraglos belohnt. Das ZARM hat in diesem Bereich Weltgeltung und wurde zunächst in Japan, dann in den USA und China kopiert. Dieser Mut zur Innovation, zu Neuem, wird heute aufgrund des inzwischen jahrzehntelangen Haushaltsnotstands oft gebremst. Auch der gescheiterte Space-Park wirkt für mich ohne Frage bis heute nach. Zu den Zeiten unserer Institutsgründung war allerdings die Steuerreform, die Bremen über Nacht zum Nehmerland machte und Sparzwang allmählich in den Köpfen verankerte, auch noch nicht so lange her. Für mich ist die Konsequenz aus dem Sparzwang aber eher, dass die Investitionen besonders erfolgreich sein müssen und nicht, dass man besser kein Risiko eingeht. Gemäß dem Bremer Motto: "buten un binnen, wagen un winnen".
  • Die Wege in Bremen sind bekanntlich kurz. Wie bewegen Sie sich durch die Stadt?
    Tja, leider braucht man mein so geliebtes (Verbrenner-) Automobil in Bremen kaum und es macht ja auch wirklich immer weniger Sinn. Bevor ich aber der Elektro-Mobilität anfange, das Wort zu reden, genieße ich lieber das Fahrrad und den tollen Umstand, dass Bremen längs des Flusses zwar fast so groß wie Berlin ist, dass man aber weg von der Weser überall in nur wenigen Minuten in einer wunderschönen Natur ist. Außerdem gibt es noch eine ganze Reihe nicht entwickelter Ideen, klimaneutrale Verbrennung und Elektroantrieb in einem Fahrzeug zu verbinden. Man denke z.B. an eine kleine unter konstanter Last laufende Gasturbine zur Batterieladung.
  • Wenn Sie die Wissenschaftsszene im Land Bremen mit einem Tier vergleichen sollten, welches würden Sie wählen und warum?
    Die Wissenschaftsszene erinnert mich an ein Bienenvolk. Bienen ergänzen sich zum Ganzen. Sie arbeiten fleißig und verfolgen ihre Ziele zum Wohl der Umwelt und der Allgemeinheit unbeirrbar. Jede Biene geht ihrer Wege aber sie tauschen ihre Informationen aus und sind zusammen überaus ertragreich und unterstützen, normalerweise weitgehend unbemerkt, die Natur. Und sie schützen und fördern ihren Nachwuchs. Nun ja, wie wir wissen, sollte es Bienen derzeit besser gehen.
  • Was war die größte Herausforderung Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, die Sie zu meistern hatten?
    Als ich mich nach der Inbetriebnahme des Fallturms und der Etablierung eines funktionierenden Betriebskonzeptes wieder der Verbrennungsforschung widmen konnte, initiierte ich ein großes Verbundprojekt unter Beteiligung von vier Universitäten und der europäischen Gasturbinen-Industrie. Das Projekt und seine Nachfolgeprojekte liefen über viele Jahre und haben essentielle Erkenntnisse zur Spray-Zündung und Stickoxidvermeidung erbracht. Das war ein gewaltiges Projekt, an dessen Größe ich damals keinen Gedanken verschwendet habe. Prof. Rath hat mich darin sehr unterstützt. Es braucht also die Unbekümmertheit der Jugend und die Erfahrung. Erfahrung ohne jugendlichen Elan lässt lediglich die Bedenken wachsen.
  • Welche stehen Ihnen noch bevor?
    Wer weiß das schon. Derzeit versuchen wir, die Mechanismen der Brandentwicklung in Raumfahrzeugen zu verstehen. Im Kontext der Feuersicherheit an Bord von Habitaten stehen wir noch sehr am Anfang. Feuer in Schwerelosigkeit verhalten sich ganz anders als am Boden. Da wir den Umgang mit irdischem Feuer seit der Kindheit gewohnt sind, steht uns unsere Intuition mehr im Wege, als das sie hilft. Das sind große Herausforderungen in einem überaus komplexen Themengebiet.
  • Haben Sie eine persönliche Erfolgsformel?
    Jeder Mensch ist anders und daher sind die Wege zum Erfolg auch individuell. Gleich ist aber für alle, dass erfolgreich nur sein kann, wer die Dinge mit Begeisterung und Hingabe tut. Ich glaube, das ist auch die entscheidende Formel zur Berufswahl. Für den, der sich seiner Aufgabe widmet, gibt es keine brotlose Kunst. Dem, der dies nicht tut, hilft kein noch so erfolgversprechender Modeberuf.
  • Aus welchem Scheitern haben Sie am meisten gelernt?
    Ursprünglich wollte ich Pianist werden. Nach 12 Jahren Unterricht und Studium schien mir das Ziel weiter weg zu sein, als am ersten Tag und ich habe aufgegeben. Inzwischen weiß ich, dass das gar nicht anders sein kann. Je mehr man zu einem Thema lernt, umso mehr weitet sich der thematische Horizont und umso mehr wird einem bewusst, wie wenig man versteht. Man wird sozusagen immer doofer. Ich sehe meine wissenschaftliche Entwicklung also als eine unendliche Folge emsigen Scheiterns – ich freue mich drüber und lerne gerne weiter.
  • Wobei oder wodurch wird Ihr Kopf wieder frei?
    Gartenarbeit verdrängt Kopfarbeit (wenn man nicht gerade studieren muss, wie man Schädlinge am besten bekämpft). Seit einem Jahr fliege ich als Privatpilot. Auch dabei ist kein Platz für abschweifende Gedanken.
  • Der/Die nächste Nachwuchswissenschaftler/in zieht nach Bremerhaven. Was würden Sie ihm/ihr raten, wo er/sie wohnen und abends weggehen soll?
    Die bremer shakespeare company begeistert mich jedes Mal. Die Kunsthalle Bremen hat eine unglaubliche Sammlung, deren Qualität und Quantität, an Bremens Größe gemessen, außergewöhnlich ist. Das Theater Bremen am Goethepatz ist jeden Besuch wert. Neben dem "selbstverständlichen" Viertel gibt es viele tolle Biergärten, die sich in den zahlreichen Kleingartengebieten verstecken und das Wetter in Bremen ist besser, als sein Ruf.
  • Mit wem würden Sie ihn/sie hier in Bremen oder Bremerhaven bekannt machen wollen?
    Das kommt auf den/die Neubremer-In an. Jedenfalls mit jemandem von dem ich denke, dass er/sie ihn/sie weiterbringen könnte.
  • Wenn Sie einen Tag lang Ihr Leben mit einem Bremer oder einer Bremerin tauschen könnten, wessen Leben würden Sie wählen?
    Der "Tagesspiegel" recherchiert einmal in der Woche das Leben eines Menschen, der hinter einer beliebig ausgewählten Todesanzeige steht. Dabei tritt so viel Vielseitigkeit in Lebensgeschichte, Erfahrungen und an beeindruckenden individuellen Leistungen hervor, dass ich denke, jede Lebensgeschichte lohnt diese Neugier.
Ein Mann in einem Labor

© WFB/Ginter

Christian Eigenbrod

Geburtsjahr

1956

Fachbereich / Forschungsfeld

ZARM Fallturm-Betriebsgesellschaft mbH / Verbrennungsforschung

Aktuelle Position / Funktion

Wissenschaftlich-technischer Leiter / AG-Leiter

Aktuelle Tätigkeit / Aktuelles Forschungsprojekt

Koordination technischer Entwicklungen / Feuersicherheit in der astronautischen Raumfahrt

Familienstand

verheiratet

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